Bukarest 2017

Tag 1 – In Tränen über der Speisekarte

Nachdem Barcelona im März als Solo-Reise so gut funktioniert hatte, folgt nun Anfang Oktober eine weitere Allein-Reise. Wieder in einer Stadt mit B, diesmal Bukarest. Damit bleiben auf meiner Reise-Liste mit „B“ noch Budapest, Belfast und Bad Wanne-Eickel. Nun aber erst einmal Rumänien im Herbst.

Warum Bukarest? Ich habe gehört, die Stadt sei jung, modern, im Ummbruch – quasi der neue Hit in Europa. Vor allem war aber der Flug billig und die Unterkunft auch.

Montagfrüh, vor fünf Uhr stand ich auf und machte mich per Bus auf nach Schönefeld, um dort in den Ryanair-Billig-Bomber zu steigen. Zwei Stunden fliegt man von Berlin nach Bukarest und am Flughafen angekommen fühlte ich mich gleich ein wenig wie in Osteuropa. Der Flughafen wirkte in etwa so groß wie Rostock Lage, er trägt den Namen Henri Coandă (das war ein rumänischer Physiker) und die einzige sinnhafte Option, vom Flughafen in die Stadt zu kommen ist ein alter klappriger Bus. Zum Erwerb eines Bus-Tickets gab es genau einen Fahrkartenautomaten und dieser war kaputt. Glücklicherweise gab es um die Ecke eine ältere Dame in einem Verkaufshäuschen, der ich mit Fingerdeutungen erklären konnte, dass ich ein Ticket in die Stadt brauchte. Dieses kostete 4,30 Lei – das ist etwas weniger als ein Euro. Also günstig. Dafür fuhr der Bus dann auch gleich fast eine Stunde, bevor man in der Innenstadt war.

Dort angekommen – es war noch Vormittag – suchte ich erst einmal ein Café auf, um ein wenig Koffein aufzunehmen und um ein Minimalmaß an Arbeit zu verrichten – mein Urlaub will schließlich bezahlt werden. In einem stylisch eingerichteten Hipster-Laden bekam ich für 10 Lei (rund 2 Euro) einen kleinen nach Salz schmeckenden Espresso, Wasser und Internet. Die Karte war auf Englisch und die nette Bedienung verstand mich auch. Die Gentrifizierung ist auch in Bukarest angekommen – nur leider (zumindest in diesem Laden) noch kein guter Café.

Im Anschluss meldete ich mich erst einmal bei einer AirBnB-Gastgeberin Maria und fragte, wann ich meine Aufwartung machen dürfte. Sie sagte, sie wäre grade in der Stadt und wenn ich wollte, könnte ich sie treffen und wir könnten Mittag essen. Warum nicht, dachte ich. Also wartete ich auf sie. Eine knappe Stunde. Sie war beim Arzt und das schien zu dauern. Ich ließ mir deroweil vor dem Nationaltheater die Sonne auf den Bauch scheinen (18° und keine Wolke am Himmel).

Gegen 14.00 Uhr kam dann Maria und sie führte mich in die Altstadt zu einem rumänischen Restaurant. Maria ist circa Mitte bis Ende 30, alternativ angezogen und ebenso drauf. Umweltaktivistin sei ihre Berufung, erklärte sie mir später. Geld verdient sie mit Übersetzungen und Deutsch-Unterricht für Erwachsene. Vielleicht schlage ich ihr in den nächsten Tag noch Tantra und Rechnungswesen als Betätigungsfeld vor.

Das Mittagessen verlief reichlich ungewöhnlich, denn über der Aufgabe, sich ein Gericht auszusuchen, brach Maria erst einmal in Tränen aus. Wortwörtlich. Sie saß weinend über der Speisekarte. Ich konnte nicht ganz verstehen, welche Bösartigkeit sie auf der Karte entdeckt haben könnte, denn Teile der Karte waren nur auf rumänisch gehalten. Schnell stellte sich heraus, dass sie nicht über ein zubereitetes Kalb weinte, sondern eine aktuelle Trennung verarbeitet.

Vor sechs Tagen trennte sich Maria von einem Mann, der sie augenscheinlich ein halbes Jahr emotional ausgenutzt und ziemlich destabilisiert hatte. Also verbrachten wir die nächsten zwei Stunden damit, über diese Beziehung, die Trennung und Marias Leben im Allgemeinen zu reden. Andere lernen bei Reisen die Umgebung kennen, ich schnacke mit praktisch Unbekannten über die Beziehung zu Borderlinern und versuche möglichst hilfreiche Tipps zum Verwinden einer absolut notwendigen Trennung zu geben. Das hätte ich mir irgendwie auch anders vorstellt, aber immerhin war Maria am Ende wieder halbwegs hergestellt und wir schafften es zu ihrer Wohnung, in der ich nun auch ein paar Tage wohnen darf. Glücklichweise lebt ihr Ex in Frankreich und es ist unwahrscheinlich, dass er hier in den nächsten Tagen auftauchen wird.

Nach dem langen therapeutischen Essen war es schon ziemlich spät, ich war schon ganz schön kaputt, aber zumindest eine kleine Runde wollte ich noch durch die Stadt drehen. Denn bisher hatte ich von Bukarest nicht allzuviel gesehen.

Wie ist die Stadt?

Das erste, was einem in Bukares auffällt, ist der Verkehr. Es gibt in der Stadt mindestens so viele Autos wie Menschen und die Straßen sind überall übervoll, es ist laut und es riecht nach Abgasen. Das ganze hat einen gewissen geschäftigen Charme, aber es ist auch massiv anstrengend. Besonders nervig ist, dass die Autos die Gehwege als zusätzliche Parkplätze benutzen und man deswegen als Passant regelmäßig zu Ausweichmanövern auf die Straße gezwungen wird.

Darüber hinaus ist Bukarest auf den ersten Blick eine durchaus bunte Stadt. Das Treiben ist lebendig, die Leute sind jung und wirken eher wie Italiener als wie Osteuropäer (was auch immer unter dieser Sammelbezeichnung zu verstehen ist). Die Architektur ist eine Mischung zwischen Klassizismus und Sozialismus, zwischen brandneu restauriert und kurz vor dem Verfall. So in etwa muss Berlin in den Neunzigerjahren ausgesehen haben. Irgendwo schnappte ich auf, dass Bukarest auch „Neu Berlin“ genannt wird. Das scheint mir passend.

Nach meine kurzen Erkundungstour lief ich wieder zurück gen Appartment, kaufte fix im Supermarkt Stulle mit Brot ein, verzehrte dies (Maria war unterrichten) und heute werde ich zeitig ins Bett gehen. Morgen habe ich zwei Stadtrundgänge geplant und die letzte Nacht war mir entschieden zu kurz.

Hier ein paar Fotos aus der Innenstadt:

Typisches Stadtbild – Alt, neu, modernisiert und viel zu viele Autos
Altstadt Bukarest – mit Oktoberfest
Gaesschen in der Altstadt
Neubauten vor der Stadthalle
Athenaeum Theater
Uralte Strassenbahn
Uralte Strassenbahn

Drakula, Ceaușescu und Top Gear

In meinem recht geräumigen Zimmer verbachte ich eine vergleichsweise ruhige Nacht. Das Zimmer liegt direkt an einer gut befahrenen Straße, die Fenster isolieren nur ein wenig und direkt vor den Fenstern stehen zwei Laternen, die das Zimmer mindestens halbschattig hell beleuchten. Vorhänge gibt es nicht. Aber hey, so musste ich mich zumindest nicht gruseln. Morgens stand ich auf, nachdem Maria bereits die Wohnung zur Arbeit verlassen hatte. Ich machte mir einen Café, probierte die klitzekleine Dusche aus und machte ein paar Fotos von der Behausung:

Meine Wohnung von aussen
Kueche
Mein Zimmer

Das Programm des Tages waren zwei Walking-Touren durch die Innenstadt. Die erste begann am Piaţa Unirii und brachte uns Teile der älteren Geschichte Bukarests und Rumäniens näher. Unsere Führerin Mara versorgte uns mit unzähligen Fakten und Geschichten zu der Stadt, dem Land, Drakula, Kirchen auf Rädern und Nicolae Ceaușescu.

So wurden wir aufgeklärt, dass der Name der Stadt Bukarest auf den Gründer, einen Hirten namens „Bucur“ zurückgeht. Ein Großteil des aktuellen Designs hat die Stadt dem Einfluss der französischen Kultur im 19. Jahrhundert zu verdanken. Man versuchte an vielen Stellen einfach Frankreich zu kopieren. Im 20. Jahrhundert war es dann Ceaușescu, der den größten Einfluss auf die Stadtplanung ausübte. Nachdem er in Nordkorea Anfang der 80‘er Jahre prachtvolle Pläne für die sozialistische Architektur gezeigt bekam, ließ er kurzerhand ein knappes Viertel der Innenstadt Bukarests plattwalzen, um dort den Parlamentspalast und einen riesigen Prachtboulevard, den Bulevardul Unirii zu errichten. Den Palast schaue ich mir morgen an, doch Mara erklärte, dass das Ungetüm im Bau immer noch nicht ganz abgeschlossen ist, mehr unterirdische Geschosse als oberirdische hat und es möglich ist, in den Tunneln Autorennen zu veranstalten. Die Jungs von Top Gear haben das einstmals probiert:

Ferner lernten wir über die Geschichte Drakulas, der Vampirfirgur des irischen Schriftstellers Bram Stoker, die auf den rumänischen Herrscher Vlad III (oder auch Vlad the Impaler) zurückgeht. Er hatte im 15. Jahrhundert insgesamt über 20.000 Menschen gepfählt und ist sicherlich bekannteste rumänische Herrscher (vor Ceaușescu). Allerdings war der Vampirmythos an den Haaren herbeigezogen. Zwar gab es derartige Mythen in der Region Transylvanien, doch erst Stoker brachte diese mit Vlad III in Verbindung.

Statue von Vlad III (Drakula)

Um in den 80‘ern Raum für Palast und Boulevard zu schaffen, wurden neben hunderten Wohnhäusern auch zahlreiche Kirchen abgerissen. Damals fand sich ein Architekt, der diese teils uralten Gebäude retten wollte. Die Regierung schlug ihm damals mehr oder weniger sarkastisch vor, er solle die Kirchen einfach wegrollen. Und genau das passierte dann. Unter insgesamt 13 Kirchen wurden Gleise verlegt und diese wurden mühsam abtransportiert und an andere Orte in der Innenstadt Bukarests verlegt. (» Dieser Artikel vom Guardian erklärt das Prozedere sehr schön.)

Unversitaet Bukarest
Polizisten auf Segways
Gruppe mit Marla vor einer der aeltesten Kirchen der Stadt
Blick auf den Parlamentspalast

Während der Tour lernte ich einen Amerikaner namens San kennen und mit ihm ging ich hernach im Caru’ cu Bere essen. Robert, der Anfang des Jahres auf Kurzurlaub in Bukarest war, hatte mir den Laden bereits im Vorfeld empfohlen und so konnte ich mir auch ein Bild machen. Das Essen war so lala und ganz schön teuer, aber dafür hatte das Restaurant ein ziemlich abgefahrenes Flair. Drinnen waren bunt bemalte Fenster, ein immenses Remmidemmi und mitten im Gastraum spielte ein Streichquartett auf und bot Unterhaltungsmusik (eher einfach strukturiert, etwa La Bamba) zu Gehör.

Streichquartett mitten in der Kneipe

Danach stand schon die zweite Tour auf dem Programm, diese sollte uns eher durch den jüngeren Teil der Innenstadt führen. Guide war ein junger Mann namens Matei, der eigentlich grade sein Medizinstudium abgeschlossen hatte, aber immer noch gerne Touristen durch die Stadt führte. Matei zeigte uns ein wenig Straßenkunst, klärte uns über die Proteste in Rumänien Anfang des Jahres auf (im Februar gingen hunderttausende Rumänen gegen ein Korruption offiziell legalisierendes Gesetz auf die Straße), zeigte uns versteckte Gässchen und schimpfte wiederholt auf die Kirche (über 80% des Landes sind orthodox) und die korrupten Politiker.

Modernes Graffiti
Regenschirme als Streetart
Fuehrung mit Matei
Figurengruppe vor dem Theater

Nach den beiden Touren schaute ich mich noch kurz im Cişmigiu Park und machte mich lansgam auf den Heimweg, aß dort erneut Stulle mit Brot und nun lasse ich den Abend hier ganz entspannt ausklingen.

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Robert
Robert
7. October 2017 0:17

Gib es hier irgendwo nen subscriberbutton? well played.. 😀