Tag 6 – Der anstrengende Tag im Leben eines Weinkenners

Mit 20 Kilometern Wanderung in den Knochen gingen wir am Mittwoch vergleichsweise zeitig ins Bett – es war wohl noch nicht einmal elf Uhr abends. Am nächsten Morgen meinte mein Körper gegen sieben Uhr, es sei genug geschlafen worden. Vielleicht lag meine zeitige Bettflucht auch daran, dass in unserer an und für sich fantastischen Unterkunft die Kopfkissen fast schon absurd klein bemessen sind. Sie sind kaum größer als ein Topflappen und womöglich eher für Ameisen gedacht. Nach ein paar Stunden Schlafes wird die Lage auf solchen Minikissen etwas leidig.

Ich nutzte die frühe Stunde und wackelte noch einmal ins Dorf hinab, um dort im Supermarkt ein paar Dinge für das Frühstück zu holen und machte abermals meine Aufwartung beim Bäcker. Diesmal fragte ich nicht gesondert nach Kümmelbrötchen. Es spielte ohnehin keine Rolle. Wie ich später zu Hause merkte, war in fast allen Brötchen so oder so ein wenig Kümmel drin.

Ich war sehr zeitig wieder in der Wohnung angekommen, die Sonne lugte grade so über den Berg vor unserer Wohnung und ich überlegte, ob ich die Zeit mit Frühsport oder planlosem Prokrastinieren im Internet nutzen sollte. Just als ich mich aufraffte, mich an die Klimmzugstange zu hängen, schob Frank sein Köpfchen auf die Terrasse und verlangte nach Frühstück. Es war grade erst 8 Uhr – für Frank eine ungewöhnlich frühe Zeit. Und mein schöner Frühsport! Und mein planloses Prokrastinieren! Aber wer bin ich, dass ich Frank sein Frühstück verweigere. Schließlich hatte er schon zweimal hier für uns schön gekocht und ich bin normalerweise derjenige, der für das Frühstück verantwortlich ist.

Tour de Vin

Auch nach dem Frühstück war der Tag noch sehr jung und so erklärten wir den Donnerstag kurzerhand zum Tag des Weinkaufs. Südtirol – genauer gesagt die Gegend rund um Bozen – ist für seine Weine bekannt und dort sind ähnlich wie im Burgund auf engem Raum zahlreiche Winzer, die verschiedene Weine produzieren. Insbesondere die Rotweinrebe Lagrein wird praktisch nur in Südtirol angebaut und auch Gewürztraminer bekommt man vor allen Dingen hier. Da war es fast schon selbstverständlich, dass Frank darauf bestand, hier eine Einkaufstour zu machen.

Der kleine Haken an der Sache war, dass die Winzer gut 100 Kilometer von unserem Domizil entfernt waren. Und hier in Südtirol heißt 100 Kilometer einfach einmal 2 Stunden Fahrt – trotz Autobahn. Es gibt hier einfach viel zu viele Autos, die sich auf schlanken Straßen durch die Städtchen schieben. Viele Orte haben keine Umgehungsstraße und so geht die einzige größere Straße mitten durch den Ort, wo Fußgänger, Abbieger oder Radfahrer ihren Anspruch auf Benutzung des Asphalts geltend machen. Das Ergebnis ist dann Congestione stradale – oder kurz Stau.

Der Stau wurde uns fast zum Verhängnis, war unser erstes Ziel in Bozen doch das Kloster Muri-Gries. Und das Kloster Muri-Gries schloss seine Weinverkaufsstelle um 12.00 Uhr (vermutlich, um einem Gott zu frönen). Zehn Minuten vor Ladenschluss schafften wir es noch in das Kloster, wo uns eine nette junge Dame ein paar Weine kredenzte. Die Dame erzählte uns, dass sie uns einige Weine nur deswegen anbieten kann, weil die letzten anderthalb Jahre Corona war. Das Kloster beliefert vor allem Restaurants und Hotels in der Region um Bozen und diese konnten aufgrund der Schließungen weit weniger Wein abnehmen als sonst üblich. Für uns war dieser Umstand ein glücklicher, kamen wir doch so in die Lage, eine Kiste fabelhaften Lagrein Riservas zu erwerben, die sonst gar nicht zum Verkauf gestanden hätte.

Benediktiner-Kloster Muri-Gries

Zeit, das Kloster zu erkunden oder in Erfahrung zu bringen, warum ein Kloster mitten in der Stadt Wein macht, hatten wir leider nicht, denn es mussten noch zahlreiche weitere Weingüter besucht werden.

Der Reihe nach steuerten wir hernach die Kellerei Bozen, das Weingut Schreckbichl, die Kellerei Girlan und das Weingut Ritterhof an. Das Geschehen dort folgte jeweils dem selben Ablaufmuster – vor uns wurden zahlreiche Weinflaschen aufgebaut, damit Gläser gefüllt, Frank probierte und am Ende wurden die besseren der verkosteten Weine in das Auto geladen. Dann und wann testete ich auch einen Wein, da ich jedoch der erkorene Fahrer war, beschränkte ich mich auf homöopathische Mengen und hielt mich vor allem an dem zum Wein gereichten Wasser fest. Zum Glück hatte Frank im Vorfeld bereits recherchiert, welche Weingüter besonders prämierte Weine auf Lager hat. So mussten wir uns nicht durch das ganze Sortiment trinken, sondern nur durch die relevanten Varianten des jeweiligen Guts.

Professionelles Weinprobieren
Blick auf die Bozener Weinberge
Selfie vor dem Wein

Wir hatten bereits in Frankreich zahlreiche Weinverkostungen mitgemacht und kennen das Prozedere ganz gut. Dort – im Burgund zumindest – waren die Weingüter in der Regel ein gutes Stück kleiner und persönlicher. Der Winzer kannte quasi jeden Rebstock und erzählte uns gerne stolz über die Geschichte des Guts und die Anbauflächen. Hier hatte ich das Gefühl, die Weingüter waren alle ein gutes Stück industrieller, größer und durchrationalisierter. Die Verkaufsräume waren groß, darin standen alle Weine zur Auswahl mit „Verzehrhinweisen“, unter den Flaschen waren die verschiedenen Prämierungen für den Jahrgang angebracht und der Verkauf war sehr professionell.

Über einen Zeitraum von knapp 4 Stunden erwarben wir unter anderem Lagreins, Gewürztraminer, Blauburgunder, Vernatsch und ein paar Rosé-Varianten. Damit füllten wir unseren Kofferraum, um damit dann in Berlin das Weinregal aufzufüllen.

Unsere Ausbeute

Ölsardinen

Zum Ende unserer Tour de Vin waren wir kurz vor dem Kalterer See und dieser wirbt damit, der wärmste See der Alpen zu sein. Draußen waren 28 Grad, wir waren gut k.o. und der See sah einladend blau aus. Leider kommt man in den See nur über eines von drei oder vier Seebädern, die Eintritt verlangen und über einem Steg Zugang zum Wasser ermöglichen. Wir fuhren zum nächstbesten Seebad, dem „Gretl am See“ und staunten nicht schlecht, einen riesigen Parkplatz vollgeparkt mit deutschen Nummernschildern zu sehen. So voll wie der Parkplatz war, war das Seebad dann auch. Man zwängte sich wie Ölsardinen nebeneinander, im See stieß man beim Schwimmen mit anderen Menschen zusammen und auf der Wiese hörte ich um mich herum Pfälzisch, Bayrisch und einen Dialekt, der am ehesten wie Schwäbisch klang. Ich versuchte, mich ein bisschen zu erholen, doch so recht funktionierte das nicht. Aber immerhin war das Wasser tatsächlich recht warm – es hatte 24 Grad.

Ein zu volles Seebad
Der Kalterer See

Eine gute Stunde hielten wir es in dem Bad aus, dann entschieden wir uns, nach Hause zu fahren. Die Rückfahrt war mit weniger Stau verbunden, aber trotzdem verbrachten wir abermals mehr als anderthalb Stunden im Auto.

Tamtam und phänomenales Fleisch

Daheim konnten wir 30 Minuten ruhen, dann mussten wir schon wieder aufbrechen, denn für den Abend hatten wir in einem im Guide Michelin erwähnten Restaurant einen Tisch reserviert. Das Restaurant trug den Namen Sichelburg, lag zwei Dörfer weiter und war – wie der Name es schon vermuten lässt – in einer alten Burg untergebracht.

Restaurant Sichelburg am Abend

Dort herinnen wurden wir von zwei Kellnern an unseren Tisch geführt und Frank brauchte erst einmal ein wenig, um die Karte zu verstehen. Denn darauf gab es ein „Überraschungsmenü“. Die Kellnerin erklärte, dass man bei diesem Menü nicht wisse, was es gäbe und nur wählen könne, ob Fleisch oder Fisch. Frank war das etwas zu abenteuerlich, ich jedoch begab mich direkt in die Ungewissheit und vertraute darauf, dass der prämierte Koch schon wissen wird, was er seinen Gästen anbieten kann.

Mein erster Gang war dann für mich ein wenig irritierend. Es gab Ochsen-Carpaccio, das ein wenig nach nichts schmeckte. Dafür waren auf das Carpaccio viele verschieden Dinge raufgekleckert und gekrümelt – Käse, Tomaten, grüne Dips (die möglicherweise Erbsenpüree waren) und ein paar Brotkrumen waren auch dabei. Sprich – ich hatte stets viel verschiedenes Zeug im Mund, wusste aber gar nicht, was ich da eigentlich genau grade schmeckte.

Zum Glück waren die restlichen Gänge mit weniger Tamtam, sondern richtig gutes Essen. Tatsächlich war mein Hauptgericht – Black Angus Rind – ganz fantastisches Fleisch, das so weich war, dass man es praktisch lutschen konnte.

Frank war mit seinen Gerichten – unter anderem Kalbsrücken und gefüllten Teigtaschen mit Stracciatella und Brennnesseln – auch ganz selig. Am Ende gingen wir nach zweieinhalb Stunden gut gefüllt und zufrieden zum Auto und fuhren nach Hause.

Ochsencarpaccio mit Tamtam
Frank hatte Brennnesselteigtaschen mit Stracciatella
Zwischengang – Rehschulter in Teigtasche
Mein Hauptgang: Black Angus Rind
Nachtisch – Zitronenmousse mit Erdbeeren und Schaum aus grünem Tee

Zu Hause fanden wir vor unserer Wohnungstür noch einen Teller mit Krapfen, den unsere Vermieter uns dort hingestellt hatten. Wir hatten zwar eben erst gut gegessen, aber so ein Mitternachtssnack passte gerade noch so rein.

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Karla
Karla
27. August 2021 12:30

Ja, eine interessante Weintour und ein sehr edles Abendbrot. Apropos Wein, Arved: Da die Hoffnung ja bekanntlich zuletzt stirbt, gehe ich bis heute davon aus, dass du dein mittlerweile zwei Jahre altes Versprechen “Du bekommst einen schönen Wein aus Frankreich” doch noch einlöst. Sollte dies aus welchen Gründen auch immer nicht möglich sein, gäbe ich mich auch mit einer Variante aus Südtirol zufrieden, aber das muss dann schon etwas Besonderes sein.

Frank
Frank
27. August 2021 21:00
Reply to  Karla

Also das Weinbuch sagt, es gab einen wunderbaren L’Amaurigue 2018 Fleur (Rosé) im Herbst 2019, an Weihnachten 2019 einen großartigen JB Ponsot 2017 Rully Rouge (Rot) und am Weihnachten 2020 brachte Arved einen fantastischen Domaine de Montmain (Chateu de Villars Fontaine) 2000 Le Clos Du Chateau (Weiß). Aber zu Arveds Ehrenrettung halte ich hier fest: er hat sein Versprechen denke ich gehalten.