Big Ben und Westminster

London 2023

Tag 1: Der Kaffee ist teuer!

Es ist März. In Berlin hat es zwei Monate geregnet und war kalt. Jetzt steht das erste schöne Wochenende an mit frühlingshaften Temperaturen und ohne Regen.

Da gibt es nur eins. Raus aus Berlin, ab nach London. Dort regnet es und sonderlich warm es ist auch nicht.

So ist das eben wenn man einen Urlaub geplant hat und dabei auch Rücksicht auf Semesterferien nehmen muss. Aber der Reihe nach: Taskin weilt für ein Jahr auf der Insel, genauer gesagt in Notting Hill fast im Herzen Londons. Seine Anwesenheit im Brexit-Land nahmen Frank und ich zum Anlass, uns den Millionenmoloch der spätkapitalistischen Megacity anzuschauen. Und weil Taskin nur in den Semesterferien Zeit für eine Nebenrolle als Stadtführer hat, kommen wir eben im März, auch wenn es ein wenig regnet und noch nicht ganz so warm ist.

Los ging es diesen Samstag nach dem Frühstück in Berlin. Ryanair flog uns zügig (wenn auch nicht wirklich günstig) in einer von Lauda-Air aufgekauften Kiste nach London-Stansted. Dieser Flughafen ist rund 50 Kilometer nördlich vom Stadtzentrum und die Fahrt vom Flughafen in die Londoner Innenstadt dauerte länger (2 Stunden) als unser Flug (1:20 Stunden). Aber immerhin klappte der Flug ganz reibungslos und nach einer Busfahrt und einem Ritt in der viel zu engen und lauten U-Bahn, standen wir vor unserem Hilton-Hotel. Da wir ein wenig zu früh waren, mussten wir ein wenig auf unser Zimmer warten und holten uns einen Kaffee an der Bar. Für umgerechnet fast 12 Euro gab es einen Cappuccino und einen Americano. Verdammt! London ist wirklich teuer!

Immerhin hatte der Regen in London mehr oder wenig in dem Moment ausgesetzt als wir ankamen. In den nächsten zwei Tagen soll es hier sogar sonnig werden. Das klingt doch nach was!

Nach einer guten Stunden Warten bekamen wir auch unser Zimmer. Zimmerchen. Schon im Vorfeld wussten wir ob der Bewertungen im Internet, dass unser Hotel eine eher übersichtliche Zimmergröße im Angebot hatte. Naja, für vier Nächte wird es schon gehen!

Wiedersehen

Nachdem wir unser Gepäck im Zimmer verstaut hatten, machten wir uns auf den Weg, Taskin und Karsten zu treffen, der auch dieser Tage zum Besuch hier in London weilte. Taskin lotste uns telefonisch zu einer U-Bahn-Station im Norden, knapp 45 Minuten von unserem Hotel entfernt. Also reisten wir mit der engen U-Bahn zum Bahnhof Chalk Farm und warteten da auf Taskin und Karsten. Die Beiden liefen uns nach wenigen Minuten in die Arme und wir freuten uns ob des Wiedersehens.

Mit dem Wiedersehen stand dann auch gleich das erste touristische Tagesprogramm an. Taskin führte uns zum Primrose Hill – einem Hügel von dem man eine herausragende Sicht auf London hatte. Oben abegkommen machten wir artig unsere Fotos, schauten uns die Skyline an und stellten fest, dass wohl jeder London-Besucher diesen Hügel ansteuerte. Zumindest war es entsprechend voll auf dem Berg.

Skyline Londons auf dem Primrose Hill
Skyline Londons auf dem Primrose Hill

Skyline Londons mit weniger Menschen
Skyline Londons mit weniger Menschen

Nach 10 Minuten hatten wir von der Skyline Londons (Riesenrad, ein paar aus der Ferne eher 08/15 wirkende Glas-Hochhäuser und ein exentrischer brutalistischer Turm) erst einmal wieder genug. Der nächste touristische Punkt des Tages (des späten Nachmittags) stand an. Dies war der Camden Food Market. Dieser wurde mir im Vorfeld schon empfohlen und war tatsächlich ein kleines Highlight. In dutzenden Ständen wurden dort allerlei kulinarische Leckereien verkauft – Tacos, Falafel, Suppen und (wir sind hier in England, dem Land des fettigen Essens) zahlreiche Burger und Fritten.

An Burger und Fritten kamen Karsten und ich nicht vorbei. Frank fand eine leckere Rolle Scharwarma, Taskin und Karsten teilten sich einen Burger und ich bekam Pommes die mit Mangosoße angerichtet waren. Das hatte ich so auch noch nie.

Hmmm, Burger!
Hmmm, Burger!

Fritten mit Mangosauce
Fritten mit Mangosauce

Anschließend ging es weiter zu einem kleinen Laden, den Taskin uns ans Herz legte – Cyberdog. Das ist ein Bekleidungs- und Gedönsladen, im Cyberpunk-Stil mit laut wummernder Technomusik, wo man allerlei neonbunte Klamotten und Accessoires erwerben kann. Es erinnerte an die Loveparade, nur nicht ganz so trashig und sympatisch mittelprovinziell. Ganz toll! Ich fand ein paar buntes Paar Socken, das ich prompt erwarb. Frank versuchte ein T-Shirt zu kaufen, das wir ihm ausredeten (zu prollig) und Karsten konnte sich nicht durchringen, ein grüngelb schillerndes Oberteil zu kaufen. So blieb ich von uns der einzige Käufer in dem Laden und schließlich zogen wir weiter.

Abendleben in London (mit Weihnachtsbeleuchtung an den Laternen)
Abendleben in London (mit Weihnachtsbeleuchtung an den Laternen)

Die Sonne war nun untergegangen und nachdem wir schon einen Snack auf dem Food Market hatten, brauchten wir eine flüssige Stärkung. Karsten hatte einen Laden aufgetan, der Cocktails zu Happy-Hour-Preisen anbot (10 Pfund für zwei Cocktails). Davon hatten wir insgesamt gleich acht. Leider stellte ich erst ein wenig zu spät fest, dass der Laden in einer ebenfalls sympathischen Mischung von Stil und Trash die Cocktails auch „Tea Pot Cocktails“ anbot. Die Gäste neben uns kamen mit einer Teekanne und zwei Tassen von der Bar zurück. Meine Verwunderung, wer in einer Cocktailbar Tee bestellt, schwand schnell Erheiterung als ich sah, dass in der Teekanne ein nach Mojito aussehendes Getränk war.

Cocktails im Rotlicht
Cocktails (das Licht war etwas speziell in dem Laden und man bestaune die Teekanne am Nachbartisch!)

Mit acht Cocktails gestärkt machten wir uns auf den Weg zum Abendbrot. Dafür hatte Taskin in einem äthiopischen Restaurant für uns einen Tisch reserviert. Wir bestiegen einen der hier in London allgegenwärtigen roten Busse und zuckelten damit durch erstaunlich eng wirkendende Gassen mit absurd viel Verkehr, bis wir direkt vor dem Restaurant ausstiegen. Dort bestellten wir einmal einen Teller mit Allem und bekamen den vor uns in die Mitte auf den Tisch gestellt.

Einmal äthiopisches Essen für alle
Einmal äthiopisches Essen für alle

Äthiopisches Essen wird auf eine spezielle und für Europäer ungewohnte Weise serviert. Auf dem riesigen Teller wird zunächst eine Art weiches Brot aus Sauerteig drapiert. Darauf werden allerlei Köstlichkeiten geklatscht – Lamm, Rind, Bohnen, Kichererbsen, Salat, ein Ei und ein paar mir undefinierbare Sachen. Zum Essen nimmt man ein Stück des Brotteigs (der ähnelt am ehesten einem Fladenbot) und greift damit irgendeine der Köstlichkeiten. Brot und Köstlichkeit schiebt man sich in den Mund. Besteck gibt es nicht. Man manscht einfach mit den Fingern im Essen rum. Zu viert. Im selben Teller. Das klingt eklig, ist es aber nicht. Man wäscht sich einfach vorher und nachher die Hände. Und das Essen schmeckt ganz fantastisch.

So sieht der Teller nach dem Essen aus
So sieht der Teller nach dem Essen aus

Mit vollgestopften Bäuchen fuhren wir, da es inzwischen 23 Uhr war, alle nach Hause. Taskin und Karsten zu sich und Frank und ich in unser kleines Hotelzimmerchen.

Tag 2 – Neun Meilen sind weit

London ist ja riesengroß! Heute habe ich mit meinem Füßen gelernt, dass London eine viel größere Stadt als Berlin ist. Läuft man in Berlin knapp drei Stunden immer in die selbe Richtung, ist man mehr oder weniger durch die gesamte Stadt durchgelaufen und am anderen Ende angekommen. In London hat man es nach drei Stunden eigentlich nur von unserem Hotel ins Zentrum geschafft. Und dabei wohnen wir gar nicht so weit außerhalb!

Aber der Reihe nach.

Erst einmal gab es Frühstück vom Buffet. Das hieß in meinem Fall Rühreier mit Spiegeleiern, einer Menge Bacon und ein klein wenig Lachs. Englisches Frühstück ist schon was Tolles! Es gibt einfach genug Kalorien für praktisch den gesamten Tag.

Nach dem Frühstück machten Frank und ich uns auf den Weg, die Nachbarschaft zu erkunden. „Nachbarschaft“ hieß in dem Falle unseres Hotels Notting Hill. Der nach einem Film von Julia Roberts benannte Stadtteil ist beschaulich, gemütlich, aufgeräumt und auf eine bescheide Art und Weise protzig. Die Häuser sind nicht hoch. Vieles sind Reihenhäuser, höchsten Dreifamilienhäuser. Die Straßen sind schmal, überall stehen blühende Bäume und noble Elektrokarossen auf der Straße. Das durchschnittliche Auto ist hier ein besserer Mercedes. Aber auch Jaguars und Aston Martins parken auf der Straße. Sowas hat man hier eben.

Wir kamen zur Portobello Road – dort boten zahllose kleine Geschäftchen allerlei Klimbim und betulichen Kram feil. Zahlreiche Menschen stahlen sich durch die Straße – ich glaube es waren zu 90 Prozent Touristen. Vielen waren augenscheinlich Influencer. Oder was auch immer man ist, wenn man an jeder roten Telefonzelle Fotos von sich machen lässt und so tut als würde man telefonieren. Auf jeden Fall stellte ich fest, dass London – zumindest in diesem Stadtteil – weit weniger Moloch als durchaus entspannt sein kann – zumindest, wenn man das Geld für eine Wohnung in einer Gegend hat, in der Aston Martins ganz selbstverständlich auf der Straße geparkt werden.

Wir flanierten die Potobello Road bis zum Ende und standen dann kurz vor dem Hyde Park. Dort bestaunten wir zunächst den Kensington Palace (da wohnt der Kronprinz der britischen Monarchie) und die Royal Albert Hall (da werden seit über 80 Jahren die Proms veranstaltet).

Nun waren wir schon so weit gelaufen, dass es gar kein Halten mehr gab. Wir durchquerten den kompletten Hyde Park, liefen durch den Wellington Arch (eine Art napoleonischer Triumphbogen zu Ehren des Dukes of Wellington, der 1815 ebenjenen Napoleon in Waterloo schlug) und standen plötzlich vor dem Buckingham Palace. Das ist das offizielle (und ganz schön große) Wohnhaus des britischen Königs. Dieser war nicht zu sehen. Wir machten trotzdem ein paar Fotos von seinem Haus.

Vor dem Buckingham Palace
Vor dem Buckingham Palace

Weiter ging es zum Trafalgar Square. Dieser ist benannt nach der Schlacht von Trafalgar. Bei dieser Seeschlacht wurde Napoleon vernichtend geschlagen. Offenbar haben die Briten ein Faible, Napoleon zu schlagen und dann Plätze und Gebäude nach den Orten und Generälen zu benennen.

Von dort war es nur ein kurzer Weg zu Big Ben, der Westminster Abbey und dem Westminster Palace. Dort gab es neben den Gebäuden vor allem unzählige Touristen zu sehen.

Auf der Westminster Bridge überquerten wir die Themse und am Ende der Brücke liefen wir Karsten und Taskin in die Arme. Die Beiden hatten den Vormittag und Mittag ohne uns verbracht (beide kannten das bisherige touristische Programm auch schon auswendig) und wir hatten uns „im Zentrum“ verabredet.

Zu viert liefen wir an dem riesigen Riesenrad (London Eye) die Themse entlang passierten die Tate Modern (ein Museum für zeitgenössische Kunst) und das Globe Theater (ein Nachbau des Theaters in dem Shakespeare vor über 400 Jahren unter anderem Richard II, Edward III und Heinrich IV zum Besten gab).

Unser Ziel war der Borough Food Market. Trotz des umfangreichen Frühstücks wollten wir uns zumindest auch hier das Essen einmal anschauen. Anders als der von uns am Vortag besuchte Camden Food Market war es hier allerdings furchtbar voll und um uns waren vor allem Hipster und Touristen (und bestimmt auch ganz viele Food-Influencer). Ich fand trotzdem was für mich. Glühwein! Es ist noch Winter und damit natürlich auch noch Glühweinzeit. Die hier kredenzte Variante war praktisch ganz ohne Zucker und kräftig. Ausgezeichnet! Taskin und Karsten fanden ein wenig Käse und Bagels zum Verdrücken und Frank durfte bei uns allen probieren.

Ein sehr voller Borough Food Market
Ein sehr voller Borough Food Market

Damit stand das letzte Ziel unseres langen Spaziergangs war die Tower Bridge. Taskin erklärte, er habe diese selbst auch noch nicht gesehen. Fantastisch, damit hatte sich unser Ausflug ja auch für ihn ein wenig gelohnt.

Nach fast fünf Stunden unterwegs entschieden meine Füße, dass sie jetzt müde sind. Ich wollte es ihnen nicht verdenken. Nachdem ich unsere Strecke auf Google Maps einmal ein wenig absteckte, kam ich auf über 9 Meilen. Das sind fast 15 Kilometer. Frank ging es ähnlich und so stiegen wir kurzentschlossen in einer U-Bahn und fuhren zu unserem Hotel zurück. Taskin und Karsten waren fit und wollten noch die Umgebung erkunden, also ließen wir sie zurück und verabredeten uns auf ein Dinner am Abend.

Unsere Spaziergang durch das touristische Zentrum Londons
Unsere Spaziergang durch das touristische Zentrum Londons

Im Hotel angekommen ließen Frank und ich erst einmal die Beine baumeln und bestellten uns später ein paar Drinks in der Bar. Wir hatten noch einen Gutschein vom Vortag, den man uns freundlicherweise überreichte, weil wir nach dem Check-In auf unser Zimmer noch warten mussten. Die vortägliche Wartezeit wandelten wir dank des Gutscheins nun in Wein und Bier um und genossen eine ruhige Stunde in der Hotelbar.

Diniert wurde später indisch. Uns wurde aufgetragen, in London unbedingt indisch essen zu müssen. Also stand dieses indische Dinner nun an.

30 Minuten mit dem Bus von unserem Hotel entfernt fanden wir ein indisches Restaurant wo wir freundlich bedient und verpflegt wurden. Es gab Lamm, Huhn, Samosas, Panir und Kingfisher – was man eben vom Inder gewohnt ist. Bemerkenswert auf der Speisekarte war, dass sie Pale Ale der Marke „Brew Dog“ führten – ein Bier welches wir bislang nur aus Berlin kannten, weil einer unserer Freunde, Christian, in der Brew-Dog-Brauerei arbeitet. Die Welt ist klein. Oder die Brauerei ist groß.

Nach dem Dinner kamen wir noch zu einem Absacker in Taskins WG-Wohnung vorbei. Dort begrüßte uns Effi, die Katze des Hauses. Frank spielte ein wenig mit dem Tier, wir tranken noch ein wenig Wein und Bier und irgendwann liefen Frank und ich in Richtung unseres Hotels. Nach dem umfangreichen Tag mit einer nicht unerheblichen Gesamtlaufleistung, hatten wir uns ein wenig Schlag wohl verdient!

Tag 3 – Brutalismus, Imperialismus, Brimborium

Eier. Ich brauchte Eier. Zum Frühstück. Zum Glück gab es im Hilton beim Buffet jede Menge Eier. Ich schnappte mir ein paar Spiegeleier, ein paar Kellen Rührei und dazu noch ein wenig Schinken der Abwechslung wegen. Perfekt! Schließlich brauchte ich Stärkung, der Tag wurde lang. Frank stärkte sich ähnlich, fand jedoch beim Buffet auch ein wenig Obst. Das erschien mir zu gesund.

Nach dem proteinreichen Frühstück fuhren wir Richtung Zentrum. Wir trafen Taskin und Karsten am Barbican Centre. Das ist eine enorme Konferenzhalle mit Theater und Galerie mitten in einem in den 70’er Jahren errichteten Wohngebiet. Dieses musste nach dem zweiten Weltkrieg komplett neu errichtet werden nachdem deutsche Bomber das Gebiet großflächig coventriert hatten. Die Londoner entschieden sich erst über zehn Jahre nach dem Krieg das Gebiet überhaupt neu zu bebauen und errichteten rund 2.000 Wohneineiten in zahlreichen Betonhochhäusern. Das ganze Gebiet ist im Stil des Brutalismus errichtet worden. Das heißt, es gibt jede Menge Beton, große, weite Flächen und die Architektur wirkt brachial. Zur Auflockerung stehen zwischendrin lauter Palmen (die wachsen hier in London tatsächlich!) und mittendrin ist eine große angelegte Wasserfläche. “Brutalismus” klingt erst einmal nach einem fürchterlichen Architekturstil. Das ist es aber überhaupt nicht. Die Gesamtanlage ist sehr menschenfreundlich und locker gestaltet. Es macht einfach Spaß, sich hier aufzuhalten und sicherlich wohnt es sich in den begrünten Betonhäusern auch gut.

Auch wenn es schön war, hatten wir vom Beton irgendwann genug. Weiter ging es in einem Zug nach Greenwich. Dort besahen wir zunächst die Cutty Sark – ein Schiff aus dem 19. Jahrhundert. Das Schiff ist einer der letzten gebauten Tea Clipper – diese Boote wurden damals genutzt, um Tee von Indien nach England zu verschiffen. Danach ging es weiter zum Royal Greenwich Observatory. Die Sternwarte wurde vor rund 350 Jahren gebaut und liegt mitten in einem Park auf einem Hügel. Von hier hat man einen großartigen Blick auf London und dazu gibt es den Nullmeridian zu sehen. „Nullmeridian“ heißt, die Briten entschieden vor 150 Jahren, dass London (oder genauer das Greenwich Observatory) der Nabel der Welt ist und dass an dieser Stelle die Längenmessung der Erde geeicht wird. Und jetzt verlangen die Engländer Einlass dafür, dass man diesen Nullmeridian fotografiert! Zum Glück konnte man einfach die Kamera durch einen Zaun stecken und so auch ein Foto von der Linie schießen.

Wir waren etwas hungrig und außerdem zeigte sich London während unseres Besuchs in Greenwich vor allem regnerisch und grau. Zum Glück wusste Karsten perfekt, was dagegen zu tun ist. Pie and Mash. Das ist eine britische Speise, die aus Kartoffelstampf (Mash) und einem Fleischkuchen (Pie) besteht. Wir fanden in Greenwich einen Laden, der uns dies verkaufte und eine liebenswerte Dame hinter der Theke des Ladens, die jeden Gast mit „My Love“ ansprach, tat uns mit einer großen Kelle auf. Mich erinnerte das Essen irgendwie an Schulspeisung. Geschmacklich war es eher mecklenburgisch. Sprich, es schmeckte ein wenig nach Nichts. Mir sagt sowas ja durchaus zu, Frank hingegen war weniger angetan.

Vier mal Pie and Mash
Vier mal Pie and Mash

Gestärkt stiegen wir in den nächsten Zug und fuhren auf einen Abstecher zum Canary Wharf. Das ist das Finanzzentrum der Stadt und laut Wikipedia stehen hier fünf der zehn höchsten Hochhäuser Englands. Auf mich wirkte das alles dystopisch und deprimierend. Die grauen Wolken und der Regen trugen sicherlich zu der Wahrnehmung bei.

So sah es dort aus:

Sehr lange hielten wir uns inmitten der Hochhäuser nicht auf. Wir hatten schließlich noch ein großes Ziel vor uns: Abba. Wir waren ja nicht nur um Taskin zu besuchen nach London gekommen. Zumindest für Frank war im Vorfeld der Besuch der Show „Abba Voyage“ zentraler Baustein des London-Ausflugs. Hierbei handelt es sich um eine aufwendig produzierte Konzertshow, die mit Hologrammen die Musiker von Abba in jung auf die Bühne zaubert. Dort bringen diese Hologramme dann die Hits von Abba zum Besten. Angeblich kostete das ganze Spektakel 175 Millionen Pfund und Frank erwähnte mehrfach, dass wir hier die Zukunft aller Konzerte erlebten. Ich war diesbezüglich eher etwas skeptisch. Ja, aufwendig und groß produziert und tolle Technik. Aber am Ende zahlten wir doch einfach über 60 Pfund pro Person, damit jemand den Strom anstellt und eine Abba-Schallplatte laut anschaltet.

Vor dem Konzert gönnten wir uns erst einmal eine Flasche Sekt. Die half gegen die Müdigkeit, die uns ein wenig nach dem langen Tag schon in den Knochen steckte und um kurz vor acht wurde dann der Strom in der Konzerthalle angeschaltet und die Hologramme auf der Bühne legten los. Will man ketzerisch sein, kann man die Technik mit einem Kinofilm vergleichen. Ehrlich gesagt bin ich mir nicht ganz sicher, ob es nicht einfach gereicht hätte, alte Aufnahmen von Konzerten zu zeigen. Dabei hätte man auf der Tanzfläche den gleichen Spaß gehabt und das hätte nicht so viel Geld verschlungen. Aber dann hätte man natürlich nicht über 60 Pfund pro Ticket verlangen können!

Egal – ich war von uns Vieren auch der Einzige, der Technik und Brimborium etwas kritisch sah. Und jede Menge Spaß konnte man so oder so haben. Vor uns stand eine spanische Schulklasse und daneben zwei britische Muttis, die jedes Lied laut mitsangen. Wir taten es ihnen gleich und verlebten so 90 unterhaltsame Minuten.

Nach dem Konzert fanden wir noch einen Pub, wo wir den Abend über einem Bier ausklingen ließen. Danach gab es nur noch eines zu tun: Ab nach Hause und ins Bett. Der Tag war lang und wir brauchten ein wenig Schlaf, um für den nächsten Tag halbwegs fit zu sein.

Tag 4 – Abflughalle und ganz viel Fleisch

Für den vierten Tag in London hatte Taskin ein ganz besonderes Highlight parat. Wir fuhren in den Skygarden. Das ist eine kostenlose Aussichtsplattform im Herzen der City of London in einer Höhe von 150 Metern. Man ist halb drinnen, halb draußen und hat eine fabelhafte Sicht auf die ganze Stadt. Das Ding heißt nicht zufällig Skygarden – in den Räumlichkeiten sind zahlreiche Farne und andere Pflanzen untergebracht.

Der Guardian schrieb über die Plattform es ähnele einem kärglichen Steingarten in einem Raum, der mit der Finesse einer Abflughalle gestaltet wurde. Jetzt wo ich beim Schreiben darüber nachdenke, muss ich konstatieren, der Guardian hat recht. Trotzdem gewannen wir da droben eine ganz andere Sicht auf London. Die Stadt ist einfach absurd groß und sieht von oben so aus, als hätte jemand mit einer verrückten Menge Geduld und mit viel zu vielen Mods Cities Skylines gespielt – jedes letzte Fleckchen ist zugestellt mit Häusern, Säulen, Türmen, Plätzen und Infrastruktur.

Bemerkenswert ist der Vergleich zu Berlin. Steht man in Berlin auf dem Fernsehturm und schaut von der Aussichtsplattform in 220 Metern Höhe auf die Stadt, fragt man sich, ob das da unten wirklich eine Millionenstadt ist, oder nicht eher eine Ansammlung mittelkleiner Häuser zwischen lauter Wäldern und Flüssen. In London fragt man sich, ob es wirklich nur 8,5 Millionen Menschen sind, die in diesem Häusermeer hausen.

Auf jeden Fall ist die „kärgliche Abflughalle“ sehr zu empfehlen. Die Aussicht kostet nichts und beeindruckt. Man muss allerdings im Vorfeld Zeit-Slots auf der Seite reservieren.

Nachdem wir die Stadt fast eine Stunde von oben besichtigt hatten, beschauten wir uns das Geschehen hernach wieder von unten. Wir flanierten durch die City of London und schauten uns die Linien der dortigen Wolkenkratzer von unten bis in den Himmel an. Anders als in Canary Wharf wirkte die City of London nicht ganz so dystopisch. Das lag sicherlich auch daran, dass es heute nicht regnete und dass zwischen den enormen Finanzkolossen immer wieder kleine Kirchen aus dem 16. Jahrhundert standen, die aufgrund von Denkmalschutz auf Ewig ihren Platz hier hatten.

Zur späteren Mittagstunde hatte Taskin für uns einen Platz im Restaurant Blacklock Soho reserviert. Dort versprach er uns einen Sunday Roast – ein traditionelles britisches Gericht, dass man am ehesten mit „Sonntagsbraten“ übersetzen kann. Dort angekommen studierten wir die Karte und fanden den Sunday Roast einfach nicht. Karsten meldete sich bei der Bedienung und fragte, wo denn der Sunday Roast sei. Entgegnet wurde: „Das gibt’s nur am Sonntag. … Heute ist Dienstag.“ – Aha! Egal, wir fanden auf der Karte etwas womöglich noch besseres, ein Gericht namens „All-In“, das einfach mal nur aus Fleisch bestand. Kuh, Schwein, Schaf – alles auf einem großen Teller. Die drei Jungs bestellten sich jeweils einmal ein solches Herzinfarktmenü. Mir war das ein Jota zu viel. Außerdem hatte ich in London bisher noch keinen Burger gegessen. Also Burger. Ich bekam von den Tieren trotzdem zu probieren und mein Burger schmeckte noch besser als Teufelburger, den ich von zu Hause in- und auswendig kenne.

All-In: Alles Fleisch
All-In: Alles Fleisch

Wir brauchten bald eine Stunde, all das Fleisch zu vertilgen und auch wenn ich nur einen Burger hatte, lüstete es mich anschließend nach einem Verdauungsschläfchen. Taskin und Frank wollten noch zum Somerset House, Karsten musste uns leider verlassen, da heute schon sein Flug ging und so trennten wir uns. Ich lief durch die Straßen von Soho zur U-Bahn, fuhr ins Hotel und schaute mir dort eine Stunde die meine Augenlider an.

Soho war immerhin ganz neckisch anzusehen:

Nach einer guten Stunde war ich wieder bei Kräften und Frank kehrte von seinem Ausflug zurück. Ich überließ ihm unser Hotelzimmer und drehte eine kleine Runde in der unmittelbaren Nachbarschaft unseres Hotels. Neben einer Einkaufsmall in Größe einer mittelgroßen Kleinstadt (450 Geschäfte auf fünf Etagen) erinnerte mich das Areal an die Hermannstraße in Berlin. Es gab viele arabische Barbiere, einen sah ich tatsächlich beim Rasieren, Krimskramsläden bei deinen niemand weiß, was die eigentlich genau verkaufen (Plasteteller? Kaugummis? Bademäntel?) und ganz viele Stoffläden.

Nach einer knappen Stunde kam ich wieder beim Hotel an, setzte mich in die Bar und orderte die einzig wahre Nachmittagsmischung für den Urlaub: Kaffee und Bier.

Irgendwann machte ich mich wieder auf in unser Zimmer und sammelte Frank von seinem wohlverdienten Spätnachmittagsschlaf ab. Den Abend verbrachten wir in der WG von Taskin, wo dieser uns in Windeseile einen obskur anmutenden, aber wohlschmeckenden Salat herstellte. Dazu gab es noch ein wenig Wein, Bier und Rumgespiele mit der WG-Katze Effi während Frank am Klavier versuchte, ein paar Abba-Lieder zum Besten zu geben.

Tag 5 – The Ugly Duchess

Unser letzter Tag in London, unser Abreisetag, begann mit einem diesmal wieder ausgiebigen Frühstück im Hotel. Frank wies darauf hin, dass so viele Eier gar nicht gut sein. Deswegen aß ich auch nur fünf. Hmm! Sehr gut!

Wir sammelten unsere sieben Sachen im Zimmer zusammen und checkten im Hilton aus. Das Hotel hatte uns gute Dienste geleistet, auch wenn das Zimmer schon arg klein war und das gesamte Etablissement schon ein bisschen in die Jahre gekommen wirkte. Das passte ja zu uns – wir sind ja schließlich auch schon „mittelalt“.

Mit unseren Koffern durchstreiften wir ein paar Straßenzüge Kesingtons, den Bezirk, der neben unserem Hotel liegt. Ähnlich wie Notting Hill ist Kensington auch den Reichen und Schönen vorbehalten. Während Notting Hill noch einen pittoresken Charme hatte, bei dem man Grünen-Wähler besserer Einkommensschicht erwartet, wirkte Kensington absolut herrschaftlich – den Bewohnern hier ist Kleinkram wie politische Gesinnung völlig egal.

Ziel unserer Wanderschaft war das Design Museum. Wir hatten es in den Tagen zuvor geschafft, in kein einziges Museum zu gehen. Taskin wollte das ändern und schon am Vorabend hatten wir uns auf dieses kleine Museum am Fuße des Holland Parks geeinigt. Wir nahmen Taskin dort in Empfang und im Eingang des Museums begrüßte uns ein netter älterer Herr vom Personal und gab uns Hinweise, wo wir unsere Koffer lassen könnten. Er fragte, wo wir herkämen. Berlin. Darauf entgegnete er, dass er selbst erst am Wochenende dort Urlaub gemacht hatte. Kleine Welt. An der Kasse wurde dann auch gleich deutsch mit uns gesprochen. Das dort arbeitende Mädchen kam aus Österreich.

Im Design Museum war eine kleine Ausstellung zum Thema ASMR mit dem Titel „Weird Sensation Feels Good“. ASMR heißt „Autonome sensorische Meridianreaktion” – oder ganz grob: Entspannung und Beruhigung. In dieser Ausstellung gab es mehrere Sachen zum Anfassen, Erfühlen, Erhören und Ertasten, die allesamt entspannen sollten. In einem Nebenraum lief in Dauerschleife Bob Ross. Das ist ein Maler, der vor langen Zeiten TV-Malkurse gab. Diese Malkurse sind so mit das entspannendste, was man sich bei Youtube anschauen kann. Der Mann spricht mit einer leisen, bestimmten Stimme und seine Kurse wirken fast schon hypnotisierend.

Falls jemand, Bob Ross sehen möchte – das ist alles auf Youtube und schaut so aus:

Wir hatten eine gute Stunde Spaß in dem Museum und waren gleich so angefixt, dass wir noch ein weiteres Museum ausprobieren wollten. Taskin empfahl uns die National Gallery am Trafalgar Square. Das ist ein immenses Museum voll mit alten Schinken auf schweren Leinwänden. In einem kleinen Seitenraum wird hier dieser Tage die „Ugly Duchess“ ausgestellt. Das Bild ist ein satirisches Portrait aus dem frühen 16. Jahrhundert. Es zeigt eine ältere Frau mit einer großen Nase und einem stark gerunzelten Gesicht. Das Gemälde kann als Kommentar zur Vergänglichkeit und die vergeblichen Bemühungen um Schönheit und Jugendlichkeit interpretiert werden. Die Duchess war zum Zeitpunkt des Zeichnens wohl auch schon „mittelalt“.

Das schöne an dieser Sonderausstellung war, dass sie sich mehr oder weniger auf das eine Bild und ein paar Kommentare darauf beschränkte. Weil alles kostenlos war, machten wir auch einen kleinen Abstecher durch den Rest der National Gallery. Die dortigen Schinken fand ich allesamt nur so mittelgut, aber das Gebäude war wunderschön.

Abschiedfoto am Trafalgar Square
Abschiedfoto am Trafalgar Square

Irgendwann stellten wir fest, dass nun mittlerer Nachmittag war und wir so langsam den Heimweg antreten mussten. Vor dem Museum gab es auf dem Trafalgar Square noch ein Abschiedsfoto, dann trennten wir uns von Taskin. Das nächste Mal sehen wir uns dann in Berlin!

Frank und ich fuhren mit der U-Bahn zur Liverpool Street, stiegen dort in einen richtigen Zug und dieser fuhr uns in rund 50 Minuten die 47 Kilometer zum Flughafen.

Am späteren Abend landeten wir wieder in Berlin und auf heimischem Boden angekommen, stellte ich fest, dass ich in den fünf Tagen in London kein einziges Mal Fish & Chips gegessen hatte. Das fühlt sich ja fast so an, als wäre der Urlaub nicht komplett! Vielleicht kann man das ja später einmal nachholen.

In Berlin jedenfalls holte ich mir, um mich gleich wieder heimisch zu fühlen noch einen Döner und wackelte nach Hause.

Erstaunlich schön war’s. Ich will nicht einmal ausschließen, dass wir noch einmal wiederkommen!