Vier Hologramme auf der Bühne

Tag 3 – Brutalismus, Imperialismus, Brimborium

Eier. Ich brauchte Eier. Zum Frühstück. Zum Glück gab es im Hilton beim Buffet jede Menge Eier. Ich schnappte mir ein paar Spiegeleier, ein paar Kellen Rührei und dazu noch ein wenig Schinken der Abwechslung wegen. Perfekt! Schließlich brauchte ich Stärkung, der Tag wurde lang. Frank stärkte sich ähnlich, fand jedoch beim Buffet auch ein wenig Obst. Das erschien mir zu gesund.

Nach dem proteinreichen Frühstück fuhren wir Richtung Zentrum. Wir trafen Taskin und Karsten am Barbican Centre. Das ist eine enorme Konferenzhalle mit Theater und Galerie mitten in einem in den 70’er Jahren errichteten Wohngebiet. Dieses musste nach dem zweiten Weltkrieg komplett neu errichtet werden nachdem deutsche Bomber das Gebiet großflächig coventriert hatten. Die Londoner entschieden sich erst über zehn Jahre nach dem Krieg das Gebiet überhaupt neu zu bebauen und errichteten rund 2.000 Wohneineiten in zahlreichen Betonhochhäusern. Das ganze Gebiet ist im Stil des Brutalismus errichtet worden. Das heißt, es gibt jede Menge Beton, große, weite Flächen und die Architektur wirkt brachial. Zur Auflockerung stehen zwischendrin lauter Palmen (die wachsen hier in London tatsächlich!) und mittendrin ist eine große angelegte Wasserfläche. “Brutalismus” klingt erst einmal nach einem fürchterlichen Architekturstil. Das ist es aber überhaupt nicht. Die Gesamtanlage ist sehr menschenfreundlich und locker gestaltet. Es macht einfach Spaß, sich hier aufzuhalten und sicherlich wohnt es sich in den begrünten Betonhäusern auch gut.

Auch wenn es schön war, hatten wir vom Beton irgendwann genug. Weiter ging es in einem Zug nach Greenwich. Dort besahen wir zunächst die Cutty Sark – ein Schiff aus dem 19. Jahrhundert. Das Schiff ist einer der letzten gebauten Tea Clipper – diese Boote wurden damals genutzt, um Tee von Indien nach England zu verschiffen. Danach ging es weiter zum Royal Greenwich Observatory. Die Sternwarte wurde vor rund 350 Jahren gebaut und liegt mitten in einem Park auf einem Hügel. Von hier hat man einen großartigen Blick auf London und dazu gibt es den Nullmeridian zu sehen. „Nullmeridian“ heißt, die Briten entschieden vor 150 Jahren, dass London (oder genauer das Greenwich Observatory) der Nabel der Welt ist und dass an dieser Stelle die Längenmessung der Erde geeicht wird. Und jetzt verlangen die Engländer Einlass dafür, dass man diesen Nullmeridian fotografiert! Zum Glück konnte man einfach die Kamera durch einen Zaun stecken und so auch ein Foto von der Linie schießen.

Wir waren etwas hungrig und außerdem zeigte sich London während unseres Besuchs in Greenwich vor allem regnerisch und grau. Zum Glück wusste Karsten perfekt, was dagegen zu tun ist. Pie and Mash. Das ist eine britische Speise, die aus Kartoffelstampf (Mash) und einem Fleischkuchen (Pie) besteht. Wir fanden in Greenwich einen Laden, der uns dies verkaufte und eine liebenswerte Dame hinter der Theke des Ladens, die jeden Gast mit „My Love“ ansprach, tat uns mit einer großen Kelle auf. Mich erinnerte das Essen irgendwie an Schulspeisung. Geschmacklich war es eher mecklenburgisch. Sprich, es schmeckte ein wenig nach Nichts. Mir sagt sowas ja durchaus zu, Frank hingegen war weniger angetan.

Vier mal Pie and Mash
Vier mal Pie and Mash

Gestärkt stiegen wir in den nächsten Zug und fuhren auf einen Abstecher zum Canary Wharf. Das ist das Finanzzentrum der Stadt und laut Wikipedia stehen hier fünf der zehn höchsten Hochhäuser Englands. Auf mich wirkte das alles dystopisch und deprimierend. Die grauen Wolken und der Regen trugen sicherlich zu der Wahrnehmung bei.

So sah es dort aus:

Sehr lange hielten wir uns inmitten der Hochhäuser nicht auf. Wir hatten schließlich noch ein großes Ziel vor uns: Abba. Wir waren ja nicht nur um Taskin zu besuchen nach London gekommen. Zumindest für Frank war im Vorfeld der Besuch der Show „Abba Voyage“ zentraler Baustein des London-Ausflugs. Hierbei handelt es sich um eine aufwendig produzierte Konzertshow, die mit Hologrammen die Musiker von Abba in jung auf die Bühne zaubert. Dort bringen diese Hologramme dann die Hits von Abba zum Besten. Angeblich kostete das ganze Spektakel 175 Millionen Pfund und Frank erwähnte mehrfach, dass wir hier die Zukunft aller Konzerte erlebten. Ich war diesbezüglich eher etwas skeptisch. Ja, aufwendig und groß produziert und tolle Technik. Aber am Ende zahlten wir doch einfach über 60 Pfund pro Person, damit jemand den Strom anstellt und eine Abba-Schallplatte laut anschaltet.

Vor dem Konzert gönnten wir uns erst einmal eine Flasche Sekt. Die half gegen die Müdigkeit, die uns ein wenig nach dem langen Tag schon in den Knochen steckte und um kurz vor acht wurde dann der Strom in der Konzerthalle angeschaltet und die Hologramme auf der Bühne legten los. Will man ketzerisch sein, kann man die Technik mit einem Kinofilm vergleichen. Ehrlich gesagt bin ich mir nicht ganz sicher, ob es nicht einfach gereicht hätte, alte Aufnahmen von Konzerten zu zeigen. Dabei hätte man auf der Tanzfläche den gleichen Spaß gehabt und das hätte nicht so viel Geld verschlungen. Aber dann hätte man natürlich nicht über 60 Pfund pro Ticket verlangen können!

Egal – ich war von uns Vieren auch der Einzige, der Technik und Brimborium etwas kritisch sah. Und jede Menge Spaß konnte man so oder so haben. Vor uns stand eine spanische Schulklasse und daneben zwei britische Muttis, die jedes Lied laut mitsangen. Wir taten es ihnen gleich und verlebten so 90 unterhaltsame Minuten.

Nach dem Konzert fanden wir noch einen Pub, wo wir den Abend über einem Bier ausklingen ließen. Danach gab es nur noch eines zu tun: Ab nach Hause und ins Bett. Der Tag war lang und wir brauchten ein wenig Schlaf, um für den nächsten Tag halbwegs fit zu sein.

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Karla
Karla
21. March 2023 10:52

Sehr interessant, auch, was die Besucher der Abba-Voyage für Klamotten tragen. Da hätte ich mit meinen Schlaghosen aus den 70ern auch gut reingepasst, war ja meine Zeit.

Tammo
Tammo
21. March 2023 12:31

Bei dem Regen wirkt der Canary Wharf so, als hätte man eine Szenerie für 1984 bauen wollen – dystopisch trifft es gut! Das farbenfrohe Abendprogramm inklusive Flasche Sekt wirkt hingegen wie der größtmögliche Kontrast